ein Bericht von Oliver Knott

GF Stelvio 2019

Granfondo Stelvio Santini – und einer fehlt

Nicht irgendeiner,  nein, quasi die Hauptperson, das Stilfserjoch!

Irgendwie war es ja schon zu befürchten. Der Giro, am vergangen Dienstag zu Gast in dieser Region, musste die Passage über den Gavia streichen und das ist ja ein direkter Nachbar des Stelvio, wie das Stilfserjoch im italienischen heißt. Gebannt verfolgte ich als den Wetterbericht. Am Mittwoch war es dann so weit, von Seiten des Veranstalters kam die Info, dass die Straßenbehörden den abschließenden Anstieg weiter geschlossen halten, wegen Lawinengefahr. Man wird jedoch eifrig versuchen eine Alternative bieten. Diese wurde mit den entschuldigenden Worten, dass das Stilfserjoch durch nichts zu ersetzen sei, vorgestellt. Das neue Ziel hieß Cancano Seen, der Anstieg Torri di Fraele, gelegen auf 1950 Meter. Eine Straße für den Bau von zwei Stauseen errichtet. Sie schlägelt sich in 17 Kehren eng an den Hang gedrungen empor.

Irgendwie war das schon eine Enttäuschung, anstelle auf dem Dach der italienischen Alpen, nun in gut 1900 Meter zu Enden klang nicht nach einer besonders berauschenden Alternative. Aber was soll es, dann werde ich an diesem Wochenende eben drei mir unbekannte Anstiege bewältigen. Gibt also drei neue Pins in die Landkarte mit den Zentralalpen, die Zuhause an der Wand hängt.

Am Samstag ging es also los, nach gut fünf Stunden Fahrzeit erreichte ich Bormio wo ich gleich den Startbeutel abholte und das Hotel Funivia, in zentraler Lage bezog. Im Startbeutel fanden sich allerhand nützliche Sachen, unter anderem ein Trikot des „co“-Namensgebers Santini. Das besondere bei diesem Event ist, dass es obligatorisch ist, dass alle Teilnehmer in dem ausgehändigten Trikot an den Start gehen. Noch eine Besonderheit, man fährt zwar mit Transponder, es wird auch die Gesamtfahrzeit gemessen. Es gibt hiervon jedoch keine Rangliste, sondern nur eine alphabetische Auflistung der Teilnehmer und die Angabe ihrer jeweiligen Fahrzeit. Das Ranking und die Prämierung der Sieger erfolgt nur anhand der Zeiten der drei zu erklimmenden Anstiege, Teglio, Mortirolo und in diesem Jahr nicht Stelvio, sondern Torri di Freale. Das macht die ganze Sache zur Angelegenheit für Bergflöhe. Da ich sowieso keine Aussicht auf die vorderen Reihen der Wertung hatte (wie immer), war für mich die Gesamtzeit von Interesse, auch ohne ein Ranking.

Gestartet wurde am Sonntag um 7.00 Uhr, wer mochte, konnte einen Beutel mit seiner Startnummer versehen abgeben, der dann zum Ziel gebracht wurde. Dies ist sicherlich sinnvoll, wenn das Ziel oben auf dem Stilfserjoch liegt, oder eher kühle Temperaturen angesagt sind. Der letzte Sonntag machte seinem Namen jedoch alle Ehre, so dass ich den Service nicht in Anspruch nahm.

Vom Start weg Vollgas, denn Bormio liegt auf einer Höhe von 1.200 Meter, der Beginn des ersten nennenswerten Anstieges, hinauf zur Gemeinde Teglio, liegt nach 47 gefahrenen Kilometern auf etwa 450 Meter. Ich fahre ja echt gerne bergab, auch schnell bergab, aber in den steileren Stücken des ersten Streckenabschnitts mit zum Teil mehr als Tempo 80 im Pulk mit 8-10 Mann nebeneinander, auf gewohnt löchrigen italienischen Straßen zu fahren, das ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. Nach gut 20 Kilometern war ich live dabei wie sich ein Teilnehmer, etwas links vor mir fahrend, mittels Salto aus dem Rennen verabschiedete. Er hatte sich wohl am Hinterrad seines Vordermanns aufgehängt.

Hätte man sich vorher nicht mit der Streckenkarte beschäftig, dann könnte man am Teglio schon meinen den Mortirolo erreicht zu haben. Giftig kommt dieser daher. Voll in der Morgensonne liegend begrüßt er die Teilnehmer auf einem kleinen versteckten Sträßchen gleich mal mit freundlichen 12%.

Die Umstellung von Highspeed, zum kraftvollen bergauftreten bedarf einen Augenblick, zumal ich in der Abfahrt feststellen musste, dass mein Brustgurt trotz neuer Batterien, offensichtlich falsche Werte sendet. Also lieber vorsichtig agieren ich habe heute ja noch so einiges vor mir. Als der Weg nach gut dreieinhalb Kilometern auf die Hauptstraße trifft flacht es etwas ab und das Treten wird wieder deutlich runder. Immerhin waren im Verlauf des Anstieges knapp unter 20% zu meistern.

Glück gehabt nach der Abfahrt, da ging nämlich just in dem Moment als ich wieder unten im Tal ankam die Bahnschranke auf an der sich schon eine Gruppe von ca. 100 Radlern, vermutlich die Spitzengruppe versammelt hatte. Jetzt hieß es also Zähne zusammenbeißen und dran bleiben, denn hier war auch der tiefste Punkt der Strecke erreicht und fortan ging es im Wesentlichen nur noch bergauf. Teils leicht ansteigend, teils in Wellen. In den steileren Stücken hatte ich meine Mühen in der Gruppe zu bleiben, auf der Ebenen ging es dagegen erstaunlich gut. So ging es dahin, bis bei Kilometer 80 der Scharfrichter des Wettbewerbes auf die Teilnehmer wartete. Als Vorbereitung hatte mir am vorangegangen Dienstag die Etappe des Giro ganz genau angeschaut. Außer, dass einem die Sportler wegen des Regens und der kalten Temperaturen leidtun konnten, sah alles recht locker aus, zumindest bei den im Bild gezeigten Profis aus der Spitzengruppe und den Klassementfahrern. Geschichten hatte ich im Vorfeld auch schon einige gehört, unter anderem den Tipp bekommen in den steilsten, nicht mehr geteerten, sondern betonierten Passagen nicht zu fahren, sondern zu schieben. Begleitet von Hinweistafeln, die alle Kilometer die Restdistanz zum Gipfel rückwärts zählten kurbelte ich mit meiner 34/32 Übersetzung Höhenmeter für Höhenmeter herunter. Der Brustgurt verrichtete zwischenzeitlich auch wieder seinen Dienst und so musste ich auf dem Pulsmesser mit ansehen wie sich mein Pulsschlag in einem in letzter Zeit nicht häufig gesehenen Bereich einpegelte. Zumindest war noch eine 60er Trittfrequenz zu halten, was sich angesichts der Steilheit gar nicht so schlecht fuhr. Irgendwo, nachdem die 2 Kilometer Marke erreicht war dachte ich mir das gröbste überstanden zu haben und konnte gar nicht verstehen worin der Schrecken des Berges liegen soll. Ich lächelte, hoffentlich nicht zu gequält, in die Kamera des dort postierten Fotografen, bog um die nächste Ecke und sah das Grauen vor mir. Die Betonpiste ragte gefühlt senkrecht gen Himmel, erste Radfahrer schoben ihr Bike. Jetzt war mir klar was damit gemeint war besser zu schieben als zu fahren. Doch für den Pin in der Landkarte kann ich doch nicht schieben, da muss ich fahren. So wuchtete ich, mit einer Trittfrequenz von zum Teil unter 40 Umdrehungen, das Pedal im Stehen herum. Ich hatte das Gefühl, dass mein Körpergewicht es gerade eben so schaffte das Pedal nach unten zu drücken. Der Garmin verabschiedete sich immer wieder in die Autopause, die bei 5 km/h eingestellt ist. Zuschauer am Straßenrand ermutigten die Teilnehmer mit den Worten „ultimo trecento metri“, also die letzten dreihundert Meter. Auf denen wurde es optisch deutlich flacher und ich wollte schon einen Gang hochschalten, da hatte ich das Gefühl, dass sich jemand von hinten angeschlichen und die Bremse zugedreht hat. Nein, keine Sabotage, das optisch Flachere schlug immer noch mit 14% zu Buche und so können sich dann 300 Meter ziehen wie Kaugummi.

Um die technisch schwierige Abfahrt richtig genießen zu können musste ich noch an zwei Mitbewerbern vorbei, denn freie Sicht ist für mich das a und o um den idealen Bremspunkt und die Ideallinie zu finden.

Nach der Abfahrt begann die Rückfahrt Richtung Bormio auf derselben Hauptstraße die wir schon am Morgen nutzten. Immerhin waren bis dorthin noch etwa 450 Höhenmeter in Wellen zu überwinden, die wir in einer größeren Gruppe absolvierten. In Bormio an der letzten Verpflegung wurde noch für die Auffahrt zu den Cancano Seen gestärkt und die bedrohlich leeren Flaschen gefüllt.

Einbruch am letzten Anstieg. Die Höhenmeter bis zum eigentlichen Abzweig zu den Stauseen liefen noch wie am Schnürchen aber mit dem Abbiegen war die Luft raus. Nach und nach wurde ich von Sportlern überholt, teilweise in einer Geschwindigkeit, dass ich mir nur dachte „wo habt ihr denn euren Motor versteckt“. Sicherlich nirgends. Es eben die Charakteristik der Veranstaltung, dass für das offizielle Ranking nur die bergauf Fahrzeiten zählen. Wer es darauf anlegt, der muss eben dazwischen Körner sparen um zügig hoch zu fahren. Mir war es zu warm, und ich konnte mich nicht mehr wirklich motivieren mich noch über die Schmerzgrenze hinaus zu motivieren. Nein, die Schmerzgrenze war in dem Moment erreicht und mein Ziel war es mit Anstand und Würde oben anzukommen. Bevor der Zielbogen passiert und die Finisher Kappe überreicht wurde, gab es noch ein klein wenig Strade Bianche feeling, denn auf den letzten zwei Kilometern musste noch eine Naturstraße bewältigt werden.

Alles in Allem war der Granfondo Stelvio Santini auch ohne Stelvio eine ausgesprochen gelungene Veranstaltung bei der angeblich, so habe ich es mir von einem Bekannten sagen lassen, allein die Verpflegungsstellen schon eine Reise wert seien. Wie üblich habe ich diese nicht in vollen Zügen genutzt, das ist halt das Problem sobald ein Transponder am Rad hängt.