ein Bericht von Oliver Knott

Ötztaler 2017

Wird das der härteste Tag in meinem bisherigen Radlerleben?
Das war die Frage die mich in der letzten Woche vor dem Ötztaler Radmarathon beschäftigte, nicht einmal, nein fortwährend.

238 km - 5.500 hm! Diese beiden Zahlen lassen so manchen Rennradler erschauern, aber auch manche Radlerherzen höher schlagen. Eines ist jedenfalls klar, wo immer in Gesprächen unter engagierten Radsportlern diese beiden Zahlen fallen, weiß jeder sofort um was es geht, um den Ötztaler Radmarathon, kurz Ötzi.

Die Profis durften in diesem Jahr das erste Mal ran. Schon am Freitag startete das laut Veranstalter härteste Eintagesrennen, das der Profizirkus je gesehen hat. Umso beachtenswerter ist das Vorhaben der gut 4.000 Jedermänner und natürlich Frauen, die sich bereits zum 37. Mal über die gleiche Strecke wagten und ich war dabei, erstmals!

Vom vor Freude springenden Herzen noch im Frühjahr wandelte sich meine Stimmung mit näher rückendem Termin Zusehens in Herz in die Hose rutschen. Zweifel kamen auf, werde ich auch diese (ultimative) Herausforderung bewältigen?  Die vier Anstiege Kühtai, Brenner, Jaufenpass und zu guter Letzt Timmelsjoch. Jeder für sich genommen eine Herausforderung, zumindest dann wenn es im Renntempo darüber geht, ok nicht das der Profis, aber auch das Eigene ist vermutlich anspruchsvoll  genug.

Gestärkt vom Urlaub im Flachland, und damit mit sommerlichem Höchstgewicht ging es am Samstag mitsamt Familien nach Sölden. Die Stimmung am Tag vor dem Rennen war bereits ganz ordentlich, es war einiges an Programm geboten und so allmählich wichen meine in der vergangen Woche aufgekommenen Zweifel in eine gewisse Vorfreude. Als Novize wollte ich mir keinen zu großen Druck machen, und so gab ich für mich selbst die Devise aus: Ankommen! - einfach nur ANKOMMEN!! Am Freitagabend hatte ich nämlich noch einen Blick in die Ergebnisliste des Profirennens geworfen und immerhin hatte zweidrittel der Profis anstelle der Platzierung, das für mich unerwünschte DNF vor dem Namen stehen. Solch eine Quote an ausgeschiedenen Fahren habe ich bisher selten gesehen, scheint also doch eine echt harte Nuss zu sein, dieser Ötztaler.

So, nun noch der obligatorische Blick in den Startbeutel, auf dem das Motto der Veranstaltung prangt. HART – HÄRTER - ÖTZTALER. Neben dem üblichen Gutschein für die Nudelparty war eine Dose alkoholfreies Radler, eine Apfelschorle und als besonderes Highlight, eine Radbrille. Und für den, der das Ziel erreicht gibts ein Finishertrikot.

Die Nacht auf Sonntag war mal wieder alles andere als berauschend. Es zeigt doch Wirkung, wenn man das schwerste Rennen der Hobbykariere vor sich hat. Auf mehr als fünf Stunden schlaf bin nicht gekommen – schade eigentlich, denn ausgeruht bringt man vermutlich etwas mehr Leistung.
Beim Start ging es gleich ordentlich zur Sache, mit Höchsttempo hinunter nach Ötz und rechts ab das Kühtai hinauf. Da dies erst der erste Teil der vierteiligen Strapazenfahrt war, habe ich mich betont zurückgenommen. Irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele hier schon die Entscheidung suchten und so wurde ich von Fahrer um Fahrer überholt. Aber egal, nicht von den anderen Anstecken lassen und genau das Tempo fahren, das ich mit selber zutraue um mit Würde ins Ziel zu kommen. Das war die Devise und die wollte ich einhalten. Das Kühtai hinunter musste ich mal wieder miterleben wie schnell ein Rennen beendet sein kann. In einer Galerie gab es einen Sturz und ein Sportler wurde gerade für den Abtransport mit dem Hubschrauber vorbereitet. Schade um den armen Kerl und Mahnung genug, die kommenden Abfahrten umsichtig anzugehen.

Als nächste Prüfung stand der Brenner an. Einige meiner Bekannten hatten mir schon im Vorfeld gesagt, „ein Rollerberg, da musst du in der Gruppe drüber“. Das konnte ich mir beim besten Willen nich vorstellen, bisher bin ich den Brenner vier mal gefahren, als Rollerberg für Gruppenfahrten empfand ich ihn bei keiner Überfahrt. Aber so kann man sich täuschen, in der Gruppe unten rein gefahren, noch ein, zwei Gruppen eingesammelt und als Großgruppe oben rausgekommen – Bravo, so lob ich mir dass wenn ich nicht recht habe!

Nach der Abfahrt nach Sterzing kam mein, was ich bis dato noch nicht wußte, Lieblingsberg, der Jauffenpass. Die Steigung hinauf, weitestgehend im Schatten, mit moderaten Prozenten, ging erstaunlich flüssig. Von unten bis oben hatte ich einen Begleiter, der exakt mein Tempo und meine Steiggeschwindigkeit fuhr. Radler um Radler wurde von uns überholt und nur noch ganz selten kamen von hinten Sportler nach. Nicht nur die Auffahrt ist ein Sahnestück, auch die Abfahrt technisch schwierig mit vielen Serpentinen, zum Teil noch richtig schlechter Teer mit Längsrillen, Licht-Schatten-Wechsel und unten dann neuer Fahrbahnbelag. Einfach von allem etwas – Anspruchsvoll, so liebe ich das!

Ab St. Leonhardt – das lange Leiden beginnt! – Bereits bei den ersten zehn Pedalumdrehungen nach der Abfahrt ereilte es mich – Krampf, Oberschenkel rechts, Innenseite. Super! Das kenne ich sonst nur vom letzten Berg beim Nove Colli, der hat aber bedeuten weniger Höhenmeter als das Timmelsjoch, das Dach der heutigen Tour auf gut 2.500 Meter Höhe.

Auf der Höhe von 1.100 Meter stelle ich mir die Frage – „warum mache ich das eigentlich?“ – nun ja die Antwort ist egal, es gibt ja kein zurück mehr und das DNF will ich nicht sehen. Als ich die Frage ausspreche kommt von den mit mir fahrenden nur ein, „ja genau“. Meine noch am Jauffenpass recht ordentliche Steiggeschwindigkeit bekomme ich beim besten Willen nicht mehr auf den Teer gezaubert. Stattdessen beginnt das Rechnen. Noch 1400 Höhenmeter, noch 1300, noch 1200. Irgendwie machen mich diese Gedanken mürbe und helfen mir auch nicht weiter. Ich werde nach und nach überholt und komme nicht mehr in die Position Plätze gut zu machen. Meine kurzfristige Rettung das Flachstück vor der Verpflegungsstelle auf halber Höhe des Anstieges, dort lief es wieder.

Nicht lange, denn irgenwann zeigt der Garmin wieder 9% und die sind jetzt eigentlich schon zuviel für mich. Die Kehren scheinen kein Ende zu nehmen, oben sind sie mit Trikots der Vorjahre dekoriert, dafür habe ich kein Auge mehr. Aber offensichtlich bin ich nicht der Einzige der leidet, immer wieder stehen Sportler am Straßenrand, masieren sich die Beine oder schieben ihr Rad. Man könnte die Szenerie als Lindwurm des Leiden bezeichen. Ich blicke den Berg hinauf, da noch 300 Höhenmeter zu absolvieren sind, schaut irgendwie aus als reiche die Straße bis in den Himmel und das sind mehr als 300 Höhenmeter. Nein, 300 sind 300, egal wie es aussieht. Eine letzte Linkskurve vor dem ersten Tunnel bringt zu meiner Überraschung die Erlösung. Ich hatte ihn nicht so flach in Erinnerung, die Beine können wieder Kurbeln, juhu!

Nach dem Tunnel dann Beschallung in Dauerschleife – aus dem Plastikmegafon eines Zuschauers tönt es –„Ole, Ole, Ole, we are the Cahmpions, Ole“ – wie hält der das nur über Stunden aus? – Aber trotzdem nett, wie man insgesamt feststellen muss, dass in fast jedem Ort, bzw. an jeder Passhöhe Publikum die Teilnehmer anfeuert.

Ganz oben am Timmelsjoch prangt ein Banner über der Straße – da hast du nun deinen Traum. Ja es ist geschafft, fast, denn in der letzten Abfahrt versteckt sich noch ein Gegenanstieg von 200 hm, an dessem Ende ein riesengroßes Trikot, geschneidert aus vielen Ötztaler Trikots die Radler „begrüßt“. So jetzt aber Vollgas Richtung Ziel.

Es steht kein DNF vor meinem Namen! – Ziel erreicht. Auch mein insgeheim gesetztes Ziel von unter zehn Stunden Fahrzeit habe ich erreicht, es wurden knapp neun Stunden. Ein vollends zufriedenstellendes Wochenende im Ötztal ging mit der Nudelparty und der Siegerehrung zu Ende.

(Quelle: Oliver Knott)

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