ein Bericht von Oliver Knott

“Der Ötztaler bedeutet für mich auch: Leide deinen Traum“

Lebe deinen Traum – so lautet der Slogan des weit über die Grenzen Österreichs bekannten, nein berühmten, berüchtigten Radmarathons. Sicherlich eine der härtesten Herausforderungen, denen sich der ambitionierte Rennradler heute stellen kann: Immerhin sind auf einer Strecken von 230 Kilometern vier namhafte Alpenpässe mit insgesamt 5500 Höhenmetern zu bewältigen.

Für mich war es die zweite Teilnahme. Zu Buch stand eine Zeit von knapp unter neun Stunden, aus der Austragung von vor zwei Jahren. Insgeheimes Ziel war die Bestätigung dieser Zeit - man wird ja nicht jünger.

Am Start fiel mir mal wieder auf: Räder vom Feinsten, Radler vom Feinsten, Klamotten vom Feinsten, alles durchgestylt. Die große Fraktion der Deutschen und Österreicher war vornehmlich in Uni-Farben oder dezenten, trendigen Tönen gekleidet, die Italiener stachen mit bunten, oft neongelben oder pinken Vereins-Trikots heraus.

Pünktlich um 6:45 Uhr erfolgte der Startschuss. Gleich zu Beginn musste Vollgas gefahren werden, um den Anschluss zu halten. Auf den ersten 30 Kilometer bis Ötz geht's auf der gut ausgebauten Hauptstraße etwa 500 Höhenmeter runter. Ich beteiligte ich mich nicht an der Hatz, möglichst weit vorne ins Kühtai einzufahren. Das Risiko erschien mir zu hoch, auch wegen diverser unvorhergesehener Brems-Manöver meiner Vorderleute.

Zum Kühtai mit angezogener Handbremse

Auf den ersten Kilometern kann man einen Marathon nicht gewinnen (ich kann ihn sowieso nicht gewinnen;-), aber man kann hier schon alles verlieren – auch die Gesundheit. Alle, die rücksichtslos durch das Feld pflügen, haben daran leider nicht gedacht - und sie hatten mehr Glück als Verstand, dass nichts dramatisches passiert ist.

Hoch zum Kühtai mit angezogener Handbremse, so war mein Plan. Ich wollte mich nicht anstecken lassen von denen, die schon am ersten Berg Gas geben, als gäbe es keinen zweiten mehr. Meine Rechnung war ganz einfach: Entweder die anderen sind so stark, dass ich mich ohnehin nicht mit ihnen messen kann - oder sie kommen zurück, irgendwann im Lauf des Rennens.

So fand ich meinen Tritt; Puls und Steiggeschwindigkeit pendelten in einem guten Rahmen und ich stellte mich auf eine gute Stunde Bergauffahrt ein. Die Kühe standen heute auf der richtigen Seite: Das Kühtai trägt nicht umsonst seinen Namen. Am Vorabend beim Fahrer-Briefing wurde vor frei laufenden Kühen und Pferden gewarnt.

Und tatsächlich spazierten im Anstieg einige Vierbeiner auf der Straße herum. Bergauf kein Problem, da kann man im Slalom um sie herumfahren; bergab sind Kühe auf der Fahrbahn jedoch eine ernsthafte Gefahr. Meine Handbremse aus dem ersten Anstieg löste ich schnell nach der Verpflegung am Kühtai-Sattel. Mit Spitzengeschwindigkeiten um 100 km/h ging es talwärts: Schließlich wollte ich ohne großen Kraftaufwand Zeit gut zu machen.Kühe gab's gottseidank keine auf der Strecke...

Von Innsbruck aus fuhren wir in einer großen Gruppe Richtung Brenner. Ganz anders als im ersten Anstieg war hier an „schonen“ nicht zu denken. Es hieß in der Gruppe bleiben, nicht zu weit hinten, um nicht Opfer einer möglichen Gruppenteilung zu werden. Das schien mir effizienter als alleine sein eigenes Tempo zu fahren. Es birgt allerdings die Gefahr, dass man über seinen Möglichkeiten fährt.

Red Bull statt Iso in der Flasche

Beim Ötztaler muss unterwegs niemand verhungern odser verdursten. Nur manchmal hat man Pech:  Auf dem Weg zur Verpflegungsstelle am Brennerpass machte ich mir noch Gedanken, ob ich mir hier den Stop sparen könnte, ob eine volle Flasche für die nächsten knapp zwei Stunden bis zur Verpflegung am Jaufen ausreichen würde. Ich kam zu dem Entschluss, lieber hier zwei Minuten liegen zu lassen, als im schlimmsten Fall mangels Verpflegung noch mehr Zeit zu verlieren.

Ich ließ meine Flasche mit Iso füllen – dachte ich jedenfalls. Der erste Schluck aus der Pulle belehrte mich eines besseren: Red Bull war eingefüllt, das vertrage ich überhaupt nicht. Also doch durchhalten mit einer Flasche bis zum Jaufen. Aber die Verpflegungs-Stationen sind hervorragend ausgestattet: Alles was das Herz begehrt, bis hin zu Riegel und Gel von PowerBar.

Den Jaufen hoch lief es gewohnt gut. Den Berg mag ich einfach, er lässt sich in einer gleichmäßigen Geschwindigkeit fahren, ist nicht zu steil, hier kann man sich richtig schön eingrooven. Allerdings: Nach der Verpflegung wollten die Beine auf den letzten einhundert Höhenmetern doch nicht mehr so recht.

Aber nach jedem Anstieg kommt meist wieder eine Abfahrt - und die vom Jaufen ist genau so, wie ich es ich liebe. Seit Neustem mit ordentlichem Teer versehen, kurvenreich, rasant und technisch, so liebe ich es. Spitzkehre um Spitzkehre, hart anbremsen, rum um die Kurve.

Dann die letzte Herausforderung: das Timmelsjoch. Es gibt Berge, die mag ich und es gibt Berge, die werden nie mein Freund werden. Zu dieser Kategorie zählt die letzte Hürde des Ötztalers. Vielleicht tue ich ihm auch Unrecht, denn eine Fahrt hinauf von italienischer Seite, ohne vorher im Renn-Tempo schon drei Anstiege bewältigt zu haben, hatte ich bisher nicht.

Im unteren Teil des Anstiegs erblicke ich in den Gesichtern vieler Mitstreiter ähnliche Qualen. Mir geht der Gedanke durch den Kopf, dass der Veranstaltungs-Slogan wohl besser heißen sollte: "Leide deinen Traum". Aber ich bin froh, dass  ich wenigstens keinen Spiegel an Bord habe, in dem ich mein eigenes, leidendes Gesicht sehen kann.

Juan Antonio Flecha wird zum "Otto-Normal-Radler"

Im weiteren Verlauf des schier unendlichen Anstiegs kam mir Juan Antonio Flecha in den Sinn, der in der letzten Woche den Schlussanstieg einer Vuelta-Etappe vorstellte. Er war sichtlich erstaunt darüber, dass in der steilen Rampe keine zehn km/h mehr auf dem Tacho standen. Juan Antonio, herzlich willkommen in der Welt des "Otto-Normal-Radlers". Das ist ein gewohntes Bild für mich, allerdings nicht erst bei 20 Prozent und mehr - nein, heute schon bei elf Prozent.

Rund 500 Meter unter dem Gipfel war es dann so weit. Thomas Rohregger, der "Pacemaker" für die Neun-Stunden-Marke kam gemeinsam mit Fränk Schleck von hinten und überholte. War es das mit meinem Ziel, die Zeit der letzten Teilnahme zu bestätigen? Ich konnte mich auf den flacheren Passagen noch einmal zurückkämpfen und wieder vorbeiziehen, mir ein kleines Polster verschaffen für die nächsten, steileren Passagen - in denen mich die beiden wieder "schnupften". Schließlich konnte ich mich zusammen mit Patrick, der ebenso um die Neun-Stunden-Marke kämpfte, auf den Gipfel retten. Die Pacemaker legten hier ein kleines Päuschen ein. Nein, nicht wirklich - sie zogen sich Windjacken über, wofür ich keine Zeit hatte.

Jetzt noch die rasende Abfahrt, der letzte Gegenanstieg mit 200 Höhenmetern und dann bergab ins Ziel nach Sölden, das ich nach acht Stunden und 50 Minuten erreichte – erschöpft und glücklich!

Mein Fazit: Wieder ein Event der Spitzenklasse. Organisation und Streckensicherung 1a, Verpflegung top (wenn die Zeit nicht laufen würde, könnte man sie auch richtig genießen). Meine Hassliebe für den Ötzi könnte zur reinen Liebe werden - wenn ich mich nicht ganz so quälen müsste. Aber es bleibt das Wissen, an diesem Tag etwas ganz besonders geleistet zu haben, egal in welcher Zeit die Strecke absolviert wurde.

und hier findet ihr meinen Bericht bei radsport-news.de

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